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Der Hund in unserer Gesllschaft (4)

Lernprozesse in der Prägungsphase

Jedes Lebewesen durchläuft eine für seine Art typische und individuelle Prägungsphase.

-Nachlaufprägung
So fand der für seine Verhaltensstudien mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Konrad Lorenz , daß ihm seine Graugans Martina nach dem Schlüpfen auf Schritt und Tritt folgte; Martina hatte die letzten Tage vor ihrem Schlüpfen im Brutkasten verbringen müssen, damit Lorenz den Vorgang des Schlüpfens besser beobachten konnte. Folglich war das erste lebende Wesen, mit dem die Graugans Bekanntschaft machte, ein Mensch und nicht, wie das eigentlich üblich ist, ihre Gänsemutter. Die Graugans war fortan auf den Menschen Lorenz geprägt. Lorenz nannte das Verhalten der Graugans Nachlaufprägung.

-Sexuelle Prägung
Die Verhaltensbiologie kennt noch weitere Prägungsarten. Die sexuelle Prägung ist die Prägung auf die Merkmale des späteren Partners für die Fortpflanzung.

-Neurale Prägung
Die neurale oder hormonale (durch Hormone gesteuerte) Prägung bestimmt die männlichen bzw. weiblichen Wesensmerkmale.
-Gesangsprägung
zeigen zahlreiche Vogelarten, wenn diese schon in frühester Jugend den Gesang ihrer erwachsenen Artgenossen erlernen und nachahmen.

-Unter Biotopprägung
versteht man die auf einen bestimmten Lebensraum bzw. auf bestimmte Lebensbedingungen bezogene Prägung.

-Ortsprägung
nennt man die Prägung von Lebewesen auf bevorzugte Wohn-bereiche.

-Nahrungsprägung
bedeutet die Bevorzugung bestimmter Nahrungsmittel, die in der sensiblen Prägungsphase verabreicht wurden.


Prägung des Hundes

Spätestens seit den bahnbrechenden Ergebnissen von Scott und Fuller in der Versuchsanstalt für tierische Verhaltensforschung an der B. Jackson University, Maine, USA gewinnt in zunehmendem Maße die Erkenntnis an Bedeutung, daß die Früherziehung des Hundes für das gesamte spätere Hundeleben von grundlegender Bedeutung ist. Die streng wissenschaftlichen Arbeiten in der vorgenannten Versuchsanstalt ergaben sich aus einem Forschungsauftrag der Amerikanischen Gesellschaft für Blindenführhunde mit dem Ziel, die Ausbildung von Blindenführhunden zu verbessern.


Ergebnisse der Tierverhaltensforschung nach Scott und Fuller

Die herausragenden Ergebnisse dieser Arbeiten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
• Die biologische Entwicklung des Hundegehirns ist nach 40 Lebenstagen abgeschlossen.
• Die Lernfähigkeit eines Hundes steigt bis zur 16. Lebenswoche; danach nimmt die Lernfähigkeit ab.
• Die Lernbereitschaft ist von der 4. bis zur 16. Lebenswoche am größten.
• Hunde, die bis zur 16. Lebenswoche isoliert gehalten wurden, sind in ihrem späteren Leben nicht mehr fähig, komplexe Aufgaben zu erlernen.
• Bis zur 16. Lebenswoche isoliert aufgewachsene Hunde können nur noch die Durchführung einfacher Aufgaben erlernen.


Umdenken ist nötig

Offenbar bedarf es in unserer wissenschaftsgläubigen Gesellschaft solcher Arbeiten, um sich von überholten, aber leider immer noch praktizierten Methoden der Hundeerziehung, deutlicher gesagt, der Dressur, zu lösen. Dennoch geht dieser Prozeß des Umdenkens nur zögerlich und mit größter Skepsis begleitet, vor sich, dies, obwohl so hervorragende Bücher, wie z.B. die von E.Trumler "Mit dem Hund auf du" und "Das Jahr des Hundes" zum festen Bestand fast jedes Hundeliebhabers zählen.
Man mag sich fragen, wieso der Mensch trotz besseren Wissens und trotz seiner innigen Bindung zum Hund und dessen Entwicklung sein natürliches Gespür für das Wesen des Hundes weitgehend eingebüßt hat. Es scheint so, als müßten jahrhunderte, vielleicht jahrtausende alte Erfahrungen im Licht moderner Tierverhaltensforschung wiederentdeckt werden.
Auf dem Weg zu dieser Wiederentdeckung kommt man unweigerlich zu dem Schluß, daß das meiste, das in den zurückliegenden Jahrzehnten an Hundeerziehung betrieben worden ist, für Hundehalter und Hund einfacher, und, bezogen auf den Hund, wesensgerechter hätte gemacht werden können, wenn der Frühentwicklung des Hundes mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre.
Hier beginnt unser Anliegen, nämlich Züchtern ebenso wie Hundebesitzern Hinweise zu bieten, die wichtigsten Entwicklungsphasen der Welpen so zu gestalten, daß diese zum optimalen Partner für den Menschen werden. Dies erfolgt in der erstmals von uns entwickelten Welpenschule.


Welpenschule, was ist das?

Inhaltlich hat Welpenschule zweifellos individuelle Entwicklung, und zwar die des Welpen, als zentrales Thema. Man könnte ganz einfach sagen:
Welpenschule ist ein Ort, an dem Hundeführer sich mit ihren Welpen versammeln, um gemeinsam zu lernen.
Die logische Frage ist, was sollen Hundeführer und Welpen gemeinsam lernen? An dieser Stelle zweigt sich die Fragestellung: Selbstverständlich sind die Zielvorgaben für den Hundeführer andere als diejenigen für den Hund. Wir haben eine Art Doppelspur vor uns, die parallel und über weite Strecken sogar überlappend verläuft, und die letztlich zu einem Ziel führt. Dieses Ziel heißt:
• Hundeführer und Hund sollen sich in ihrer gemeinsamen Beziehung wohlfühlen.

Daß dieses "Sich-Wohl-Fühlen" in einem einseitig vom Hundeführer vorgegebenen Rahmen geschieht, versteht sich von selbst, denn er ist es, der mit der Wahl und dem Erwerb des Welpen bestimmte eigene Wünsche und Vorstellungen verwirklichen möchte. Die Welpenschule soll und kann dabei helfen, die Wege aufzuzeigen, auf denen diese Wünsche und Vorstellungen weitgehend erreichbar sind. Dies vollzieht sich aber nur dann in optimaler Weise, wenn bestimmte Regeln einer art- und rassespezifischen Hundeerziehung und -ausbildung beachtet werden.


Welche Rolle spielt der Hund?

Ihm bietet die Welpenschule die Voraussetzungen für eine optimale Wesensentwicklung bei gleichzeitiger gezielter Förderung und Entwicklung seiner anlagebedingten Fähigkeiten.


Welche Rolle spielt der Hundeführer?

Er erhält die Möglichkeiten, auf der Basis derzeitiger Erkenntnisse der Verhaltensbiologie seinen Hund in allen Wesensbereichen so zu fördern, daß er sein optimaler nicht-menschlicher Sozialpartner wird.


Was ist das Neue?

Sie werden fragen, wo ist da das Besondere? War das nicht immer schon das Anliegen von Hundebesitzern? Ja, es war immer schon das Anliegen verantwortungsbewußter Hundehalter, den Hund optimal zu erziehen und auszubilden. Aber hinsichtlich der dazu einzuschlagenden Wege ist man, von Ausnahmen abgesehen, doch mehr in antiquierten und überholten Vorstellungen haften geblieben. Dies wird besonders darin deutlich, daß vielfach noch die Auffassung vertreten wird, der Hund solle eine „ungestörte“ Welpen- und Junghundzeit verbringen können, ehe man ihn in die Ausbildung nimmt.
Was auch immer unter „ungestört" verstanden sein mag, dieser Forderung liegt die falsche Meinung zugrunde, der Hund habe frühestens mit 9, besser noch mit 12 Lebensmonaten die zur Erziehung und Ausbildung nötige Reife erlangt. Folglich gehen die Welpenkäufer getreu diesem Ratschlag frühestens mit ihrem praktisch einjährigen Hund erstmals in die Obhut von Hundeschulen oder Hundeausbildern.
Was dann in aller Regel dort geschieht, setzt in der Tat einen stabilen Hund voraus, denn so antiquiert, wie die oben genannten Auffassungen, sind auch die meisten Erziehungs- und Ausbildungsmethoden: Par force (sprich: mittels Gewalt) und Dressur (sprich: abrichten) sind die der französischen Sprache entlehnten Begriffe für das, was dann mit dem Hund und an ihm geschieht.
Die Tasache, daß bis zum 12. Lebensmonat des Hundes die für seine Erziehung und Ausbildung wichtigste Zeit bereits unwiederbringlich verstrichen ist, macht die überkommene Meinung über Hundeerziehung unhaltbar.
Hier setzt das Neue unsererWelpenschule an: Sie rückt alte und neue Erkenntnisse über Erziehung und Ausbildung des Hundes in das Licht heutiger Erkenntnisse der Verhaltensbiologie und versucht, diese Erkenntnisse in praktisch anwendbare Formen zu bringen. Daß dies unter systematischen, d.h. schulmäßigen Gesichtspunkten geschieht, möge den Begriff Welpen-schule rechtfertigen.
Der wesentliche Wortteil Welpen besagt, daß der Welpe im Mittelpunkt dieses schulischen Geschehens steht.
Und noch etwas: Die Verhaltensbiologie ist eine noch junge Wissenschaft, die sich in einer ständigen Weiterentwicklung befindet, und die, wie jede lebendige Wissenschaft, keinesfalls starr ist. So mag es eines Tages notwendig sein, die hier niedergelegten Gedanken über Erziehung und Ausbildung des Hundes unter den sich ständig wandelnden Gesichtspunkten neu zu überdenken und angepaßte Rückschlüsse zu ziehen. Das ist gut so, denn auch das ist Teil der Evolution, also der Entwicklung, der wir alle unterliegen.


Früherziehung des Hundes

Um der Klarheit der Begriffe willen soll zunächst erörtert werden, was Erziehung des Hundes bedeutet. Zweifellos stoßen wir bei dieser Frage auf unterschiedliche Antworten.
Wenn an dieser Stelle wiederholt streng zwischen Erziehung und Ausbildung unterschieden wird, dann besonders auch deswegen, weil inzwischen vielerorts selbsternannte Welpenschulen wie Pilze aus dem Boden schießen, die den Welpen schnellstmöglich ausbilden möchten ungeachtet aller notwendigen Entwicklungsphasen.


Was heißt erziehen?

In der Sprache unserer Gesellschaft wird der Begriff Erziehen ausschließlich auf den Menschen bezogen:
„Erziehen (des Menschen) bedeutet die körperliche, geistige, seelische und charakterliche Formung durch erzieherische Kräfte.
Von innen her gesehen handelt es sich um die Erweckung des Personkerns im aufwachsenden Menschen, der sich
• körperlich kräftigen
• technisch ausbilden,
• an die äußeren Lebensaufgaben anpassen,
• für bestimmte Lebensweisen innerlich bereitmachen muß,
aber dies alles so,
• daß die eigentlich menschliche Persönlichkeit ausgeformt wird."
Deutlicher kann man den Begriff Erziehen in aller Kürze nicht machen, als es in der aus dem Großen Brockhaus von 1953 entnommenen Definition gesagt ist.


Erziehung des Hundes, was ist das?

Nehmen wir den Hund ernst, dann müssen wir mit der gleichen Konsequenz und dem vergleichbaren Anspruch auf den Hund bezogen, in analoger Weise sagen:
Erziehung des Hundes heißt,
• seine natürlichen, erbmäßig bestimmten Anlagen erwecken,
• ihn an die äußeren Lebensweisen anpassen,
• ihn für bestimmte Lebensaufgaben innerlich freimachen
aber dies alles so,
• daß die eigentlich hundliche Persönlichkeit (sein
Wesen, sein Charakter) ausgeformt wird.
Zu den Bedingungen fruchtbarer Erziehungstätigkeit gehören
• eine gute (genetische) Veranlagung und
• eine erzieherisch günstige Umwelt (Milieu).
Beide stehen in Wechselwirkung."


Was ist Ausbildung des Hundes?

So verstanden, hebt sich der Begriff Erziehen deutlich von dem Begriff Ausbildung ab.
Ausbildung des Hundes bedeutet, ihn auf der Basis seiner natürlichen, erbmäßig bedingten Veranlagungen bestimmte Fertigkeiten zu lehren.
Mit dieser klaren Abgrenzung der Begriffe sollte allen eventuellen Mißverständnissen vorgebeugt sein, wenn wir in der Welpenschule die Früherziehung des Hundes, eben des Welpen, aber keine Ausbildung des Welpen fordern.


Sozialverhalten des Hundes

Bezüglich seines Sozialverhaltens ist der Hund ein Rudeltier mit allen daran zu knüpfenden Triebanlagen.
Der Rudeltrieb erlangt den kynologischen Forschungen zufolge vor allem von der 4. bis zur 12. Lebenswoche eine besondere Entfaltung: In dieser Phase erfolgt die Prägung auf den Menschen (4. bis 7.Lebenswoche). Dies ist die wichtigste Zeit, in der die Förderung des Gemeinschaftslebens mit Mensch und Artgenossen des Hundes stattfinden muß. Alles, was in dieser Zeit an Sozialisierungsmaßnahmen versäumt wird, hat im späteren Hundeleben nachhaltige Auswirkungen.
Die Zeit von der 4. bis zur 12. Lebenswoche, die verhaltensbiologisch auch als sensible Phase des Hundes bezeichnet wird, tritt nur einmal im Leben des Hundes auf. Deshalb hat sie eine überragende und für das spätere Verhalten des Hundes prägende Wirkung.
Diese Zeit ist aber auch durch Unbekümmertheit und Unvoreingenommenheit gegenüber der Umwelt gekennzeichnet. Im Vertrauen auf den sicheren Schutz der Hündin bzw. des Hundeführers zeigt der Welpe weitestgehende Unbefangenheit, wenn nicht genetische Veranlagungen des Welpen oder Fehlverhalten der Mutterhündin bzw. des Hundeführers, hier also des Züchters, bereits zu einer Fehlprägung geführt haben.

Autor: Prof Dr. A. Saus
 

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