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Der Hund in unserer Gesellschaft (7)

Förderung der Sinnesorgane


Gehörsinn

- Erkennen der Rudelmitglieder
Das Gehör kann in gezielter Weise geschult werden. Es ist wichtig, daß der Welpe sehr bald lernt, die Stimme seines Führers sicher zu erkennen und auch die Nuancen seiner Sprache zuzuordnen. Dies zeigt sich z.B. besonders eindrucksvoll, wenn in der Welpenschule die einzelnen Hundeführer ihre Hunde zu sich rufen.
- Differenzierung von Geräuschen
Ein Geräusch, dessen Quelle, Ursache, Zweck und Konsequenzen der Welpe nicht erforschen und kennenlernen kann, schadet seinem Unterscheidungsvermögen.
Wie soll er je fremdartige Geräusche von vertrauten unterscheiden lernen, wenn, wie das vielfach geschieht, bereits in der Wurfkiste eine Flut von gesammelten Geräuschen aus Hup-, Pfeif-, Knall-konzerten per Tonband ständig auf ihn niedergeht. Sein Gehörsinn stumpft ab, weil ihm Klangbilder und Geräusche undifferenziert, d.h. ohne Bezug zur Originalquelle, ins Gehirn geleitet werden.
Unsere eigenen Erfahrungen zeigen, daß solchermaßen abgestumpfte Welpen spätestens in dem Augenblick verunsichert sind, wo sie mit der tatsächlichen Geräuschquelle konfrontiert werden (Beispiele: Autohupe, Pistolenknall, rasselnde Kette auf Blechunterlage, Rassel, Knarre, Fahrradklingel, Kindertrompete u.a.).
Führt man dagegen den Welpen an die für ihn sichtbare Geräuschquelle heran, mag es sein, daß er zunächst zögert, aber Augenblicke später wird seine natürliche Neugierde geweckt, und er erobert Geräusch und Geräuschquelle.
Dadurch lernt der Welpe, selbst Situationen zu meistern; dies führt zur Stärkung seines Selbstbewußtsein und seiner Selbstsicherheit.


Gesichtssinn

Ähnliches gilt für den Gesichtssinn: Offenbar haben Welpen bis etwa zum Ende des 4. Lebensmonats noch kein oder nur ein geringes Empfinden für Gefahren. (Diese Aussage schließt eine angeborene und individuell unterschiedlich große Reserviertheit des Welpen nicht aus.)
Deshalb ist die Prägungsphase bestens dazu geeignet, dem Welpen bezüglich seines Gesichtssinns vielerlei Erlebniswelt zu schaffen und ihn mit Erfahrungen vertraut zu machen, die ihm für spätere Situationen Ruhe, Gelassenheit und innere Sicherheit geben.
Die gelegentlich geäußerte Annahme, daß der Hund durch Begegnungen mit ungewöhnlichen Erscheinungen, wie z.B. maskierten Menschen usw., im Erwachsenenalter keine Schutzeigenschaften mehr an den Tag legen würde, weil er durch Gewöhnung abgestumpft sei, ist absolut falsch; im Gegenteil, die ohnehin angeborenen - mehr oder weniger großen - Wach- und Schutzeigenschaften des Hundes erlangen durch den gezielten Umgang mit Außergewöhnlichem, dabei nicht Bedrohlichem, eine intensive Schulung und Sicherheit.
Darüber hinaus ist es Gegenstand der gezielten Schutzhundausbildung, Gefahren für Hund und Rudel differenzieren zu lernen. Ungeachtet dessen besitzt der Hund eine individuell mehr oder weniger stark ausgeprägte natürliche Veranlagung zur Erkennung von echten Gefahren.


Drucksinn

Der Sinn für körperlichen Kontakt ist im Hund stark ausgeprägt. Dies äußert sich von Geburt an, in dem er intensiv die Körpernähe der Mutter sucht. Auch das enge Zusammenliegen der Welpen ist Ausdruck starker Kontaktfreudigkeit.
Obgleich körperliche Berührung dem Sozialverhalten des Hundes entspricht und dieses intensiviert, zeigt der Hund unterschiedliche Sensibilität bei Berührung verschiedener Körperteile.
Auf dieser Tatsache beruht die von Tellington entwickelte und nach ihm benannte Touch-Methode.
Trotz oder gerade wegen der hohen Berührungssensibilität reagiert der Hund mit großer Reserviertheit und Ablehnung, wenn er mit Meßgeräten, wie z.B. Zollstock, Körmaß, Bandmaß o.dgl. in Kontakt gebracht wird.
Hinzu kommt, daß die einzelnen Körperteile des Hundes sehr unterschiedlich auf Berührung reagieren. Viele Hunde sträuben sich, wenn man in ihren Fang greifen will, oder wenn Geschlechtsteile, Rute oder Puls abgetastet werden.
Auch die besonders für Rettungshunde zu fordernde Unvoreingenommenheit z.B. gegenüber Getragenwerden, sei es durch den Hundeführer oder mittels Geräten, z.B. Auf- und Abseilen, und das Tragen von z.B. Signal-Bauchbinden, von Lasten (Rettungsmaterial, Lebensmittel) u.a.m. müssen bereits im Welpenalter durch passende Übungen gefördert werden.
Daß die Gewöhnung an verschiedenste Berührungen sich natürlich besonders bei Arztbesuchen sowie bei Ausstellungen und Wesenstests günstig auswirkt, sei hier nur am Rande vermerkt.
Die Unbekümmertheit der Welpenzeit ist daher bestens dazu geeignet, dem Hund die Scheu vor solchen Berührungen zu nehmen.


Gleichgewichtssinn

Wer je einmal beobachtet hat, wie Welpen mehr oder weniger ungeschickt versuchen, z.B. beim innerartlichen Spiel oder bei Beutespielen ihre Bewegungen kontrolliert durchzuführen, erkennt, wieviel Übung es bedarf, ehe die Bewegungsabläufe einigermaßen harmonisch von statten gehen; alles will geübt und erlernt sein.
Daher sind gezielte Bewegungs- und Balanceübungen für den Welpen außerordentlich wichtig.
Nehmen wir gleichzeitig die Forderung nach unterschiedlichen Bodenverhältnissen dazu, ergibt sich eine Fülle von interessanten, dabei absolut ungefährlichen, für den Welpen aber sehr wichtigen Übungsmöglichkeiten.

Dazu zählen z.B.
• Balancieren über eine schmale Bohle
• Überqueren von Längs- und Querwippen
• Auf- und Absteigen über schräg angelegte Stege
• Balancieren über eine Hängebrücke
• Erklettern von Holzstößen
• Bewegungen über nachgiebige Unterlagen
Es ist Teil der praktischen Anleitungen, genaue Hinweise für die Durchführung solcher Übungen zu geben.


Geruchssinn

Nase und Geruchssinn sind für den Hund das, was für den Menschen die Augen sind. Der Hund ist ein „Nasentier“, der Mensch ist ein „Augentier“.
Der sprichwörtlich hervorragende Geruchssinn des Hundes bietet eine Fülle von Betätigungsmöglichkeiten, die aber nur dann ausgeschöpft werden können, wenn diese Fähigkeiten schon im Welpenalter so gelenkt werden, daß der Hund lernt, seine Nase gezielt einzusetzen. Das kann sowohl für rein spielerische Zwecke, als auch für den sportlichen Bereich genutzt werden, wobei das eine das andere keineswegs ausschließt, sondern sich in sofern ergänzt, als es eine breite Basis für immer wieder neue Anregungen und Motivationen liefert.
Daß der Hund im Bereich Suche zu höchsten Leistungen fähig ist, beweisen zahlreiche Beispiele aus der Kriminalistik.
Für die nachfolgend nur summarisch aufgeführten Suchspiele bietet der praktische Teil grundlegende Anleitungen.
• Suchen eines versteckten Gegenstandes
• Suchen eines bestimmten Gegenstandes
• Verlorensuche
• Fährtensuche
• Suche nach einem Menschen


Motorik

Die Beherrschung der Motorik, also der Koordination von Bewegungen und Bewegungsabläufen, ist für das Überleben wildlebender Caniden lebensnotwendig. Sie üben sich schon im Welpenalter, vor allem beim innerartlichen Spiel, im Jagen, Fangen und Erlegen späterer potentieller Beute. Welche erstaunlichen Fortschritte sie dabei machen, zeigt sich besonders in der Übergangsphase von der 7. bis etwa zur 10. Lebenswoche.
Hunde, denen im Verlaufe der Prägungsphase, also bis zum Ende ihrer 16. Lebenswoche, nicht hinreichend Möglichkeiten geboten wurden, ihren Bewegungsdrang richtig auszuleben, erlernen danach nur mit Mühe, schwierige Körperbewegungen zu meistern. Dies gilt z.B. für Fangspiele, für rasche Richtungswechsel aus dem Lauf, für blitzschnelle Reaktionen auf plötzlich eintretende Situationen, für die Koordination bei Springübungen usw.

- Förderung der Motorik durch innerartliches Spiel
Im innerartlichen Spiel jagen und hetzen die Welpen sich gegenseitig; mal ist der eine der Jäger und der andere der Gejagte.
Wenn mehrere Welpen gleichzeitig miteinander spielen, äußert sich das Rudelverhalten in besonders deutlicher Form: Ein Hund ist der Gejagte, während die übrigen sich zum Rudel vereinigen und hinter dem Gejagten rennen. Bei einem solchen Spiel lassen sich viele Verhaltensmuster des Rudeltriebs ablesen.

- Förderung der Motorik durch außerartliches Spiel
Wir können mit dem Welpen zahlreiche Spiele machen, die seine Motorik in hervorragender Weise fördern, ohne ihn zu überfordern. Hierbei sind folgende Grundregeln zu beachten:
• Jegliches Spiel ermüdet den Hund. Das kann bei Übertreibungen durch den Hundeführer zu körperlichen Schäden des Welpen führen, wenn das Spiel zu lange ausgedehnt wird.
• Bei allen Arten von Beutespielen ist darauf zu achten, daß der Welpe nicht zum Hochspringen veranlaßt wird, weil in seinem Alter Muskulatur und Knochengerüst noch nicht hinreichend entwickelt sind.
• Immer gleichbleibende Spielmuster führen zu Frustration des Welpen. Unser Spiel muß abwechslungsreich und spannend sein.
• Der Welpe muß im Spiel Erfolgserlebnisse haben. Zu lange andauerndes Spiel ohne Erfolg für den Hund stumpft ihn ab.
Zum richtigen Spiel gehört auch das richtige Spielzeug. Hier bieten sich folgende Spielzeuge an:
• Kleine und mittelgroße Bälle. Tennisbälle sollten unbedingt bereits abgespielt sein, um zu verhindern, daß die bei neuen Tennisbällen noch vorhandenen feinen Oberflächenfasern in die Lungen der Welpen geraten.
• Feste, ca. 30 cm lange (Jeans-)Lappen oder Beißwülste. Das richtige Spiel mit Lappen bzw. Beißwülsten wird im praktischen Teil eingehend beschrieben.
• Beute an einer Peitsche. Dieses Spielzeug eignet sich besonders gut, da es bei richtiger Handhabung die Möglichkeit zu nahezu beliebigen Beutebewegungen bietet. Die Beschreibung der „Peitsche“ und ihre Handhabung wird gesondert behandelt.
• Für Hunde, die im Gehorsamsteil bereits fortgeschritten sind, ist auch die Reizangel hervorragend geeignet, Gehorsamsübungen mit intensivem Beutespiel zu koppeln. Dies wird ebenfalls im praktischen Teil erläutert.
• Dort, wo sich für Hunde die Möglichkeit zum Schwimmen bietet, kann dies für weitere motorische Übungen ausgenutzt werden. Schwimmen fördert außerdem Ausdauer und Entwicklung von Muskulatur und Skelett. In fließenden und den Gezeiten unterliegenden Gewässern ist darauf zu achten, daß der Hund nicht von der Strömung abgestrieben werden kann. Dazu eignet sich die für die Ausbildung von Jagdhunden entwickelte Halsung mit entsprechend langer Leine. Aber es kann auch nötig sein, die Beute an einer Schnur zu befestigen, damit der Hund ggf. vor Überforderung gesschützt werden kann, indem die Beute einfach an Land gezogen wird.

Beispiel 1.
Ein alter Wollsocken oder -handschuh diene als Beute. Diesen fassen wir an einem Ende und ziehen ihn rasch und für den Welpen sichtbar flach über den Boden (nicht hoch vom Boden, um den Welpen nicht zum Springen zu animieren, was für seine körperliche Entwicklung viel zu früh wäre). Der Welpe stürzt sich bald darauf und fängt seinerseits mit Füßen und Fang die Beute. Jetzt verleihen wir der Beute Leben, indem wir kurze, zuckende Bewegungen mit der Beute ausführen. Die Bewegungen der Beute begleiten wir mit tierähnlichen Lauten.
Sobald der Welpe die Beute gegriffen hat, wird er sie (tot-)schütteln ; dies ist der Zeitpunkt, in dem wir ihm die Beute spontan überlassen und ihn loben. Er hat die Beute gewonnen. Danach wird er versuchen, die Beute wegzutragen (Sichern der Beute). Dies unterstützen wir mit lobenden Worten so-ist-brav.
Ein solches Beutespiel dauert nur wenige Sekunden.

Anmerkungen
Während des gesamten Beutespiels sind jegliche Hetzlaute oder Knurrlaute o.dgl. unbedingt zu vermeiden, weil sie im Hund allzu leicht Aggressionsverhalten wachrufen würden, eine natürliche Verhaltensweise, die sowohl vom Alter des Hundes als auch vom Beutespiel her gesehen absolut falsch wäre.
Während des Spiels beobachten wir unseren Welpen sehr genau, wobei uns sein Gesicht, seine Körperhaltung und die Haltung der Rute besonders interessieren.
Seine spielauffordernde Gestik beobachten wir mit größter Sorgfalt. Dabei lenken wir unseren Blick einmal auf die Kopfhaltung, dann auf die Augen, dann auf seine Körperhaltung und auf die Stellung der Vorder- und Hinterläufe. Dieses Beobachtungstraining hilft uns, sehr bald die Gestik des Hundes zu verstehen. Die Körpersprache des Hundes gibt uns wichtige und eindeutige Signale über die momentane Verfassung des Hundes, und wir können bei huinreichendem Training bereits die Absichten des Hundes erkennen, noch bevor er sie in die Tat umgesetzt hat.

Fortsetzung des Beutespiels
Der Welpe wird jetzt kurz verharren und uns voller Erwartung auf die nächste Runde ins Auge fassen. Diese Aufforderung nehmen wir zum Anlaß, ihn mit hier zu ermuntern, zu uns zu kommen. Auf keinen Fall gehen wir uns zu ihm hin; er würde dies nur zum Anlaß nehmen, mit der Beute davonzulaufen und uns zur Verfolgungsjagd aufzufordern.
Nach wenigen Augenblicken wird der Welpe, die Beute im Fang, sich in mehr oder weniger gerader Richtung auf uns zu bewegen. Typisch wäre sein Versuch, seine Beute möglichst eng aber rasch an uns vorbei wieder davonzutragen. Dies verhindern wir durch schnelles Packen der Beute. Die Antwort des Welpen auf unser Tun wird eine Gegenwehr sein, wobei er versucht, die Beute dadurch wieder zu gewinnen, indem er sie heftig schüttelt. Wiederum bestätigen wir diese Aktion; wir lassen die Beute los und loben den Welpen kurz und deutlich er hat erneut gewonnen.

Anmerkung
Dieses spielerische Ritual macht dem Welpen sehr viel Freude; seine Gestik beim Wegtragen der Beute ebenso wie sein erneuter Versuch, das Spiel zu wiederholen, zeigen sich in seinem Gesichtsausdruck, seiner Körperhaltung und der Haltung seiner Rute.
Wir bemühen uns, unseren Beobachtungssinn zu schärfen, indem wir gelegentlich mal die Rutenbewegungen, mal den Gesichtsausdruck, mal die gesamte Körperhaltung oder die Stellung der Läufe besonders ins Auge fassen.
Unsere Beobachtungen zum Spielverhalten und zur Gestik des Welpen tragen wir sorgfältig in unser Welpennotizbuch mit Angabe des Datums ein; unsere Beschreibungen beziehen sich auf Rute, Kopfhaltung, Stellung der Läufe und Körperhaltung.
Wir versuchen, die einzelnen Bilder zu einem Gesamtbild zusammenzufassen und dieses mit einem Gefühlsausdruck zu beschreiben, wie z.B. aufmerksam, freudig, erregt, hektisch, stolz, sicher, unsicher, müde, desinteressiert, auffordernd, ausweichend, ängstlich, aggressiv.

Abbruch des Beutespiels
Einen weiteren Versuch des Welpen, uns zum Spiel aufzufordern, quittieren wir dadurch, daß er wie vorher beschrieben, wiederum im Höhepunkt des Spiels (schütteln der Beute) gewinnt und ein kurzes Lob erhält. Dann aber brechen wir das Spiel ab z.B. mit den Worten schluß-jetzt.
Als Ergebnis unseres abrupten Spielabbruchs wird der Welpe, je nach Temperament, wiederholte Spielaufforderung zeigen. Dabei kann er so übermütig werden, daß er versucht, uns irgendwie und irgendwo zu packen.
Auch diese Verhaltensweisen sind uns willkommen, weil sie uns die Möglichkeit bieten, dem Welpen Tabus zu setzen (zur Erläuterung des Tabu siehe: Das Tabu).
Der Welpe soll lernen, daß das Spiel mit uns nur dann seinen vollen Reiz hat, wenn wir zum Spiel bereit sind. Daher ist unserem eigenen Spielverhalten eine ebenso große Bedeutung beizumessen, wie dem Spielverhaltebn des Welpen. Wir bestimmen, wann, wie, womit, wie lange und mit welcher Zielsetzung gespielt wird.

Merksatz:
• Es ist zu beachten, daß durch zu häufige Wiederholung des vorher beschriebenen Beutespiels das Beuteverhalten des Welpen ermüdet. Das Spiel muß dann abgebrochen werden, wenn der Welpe im Höhepunkt der Triebbefriedigung steht.

Autor: Prof Dr. A. Saus
 

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