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Der Hund in unserer Gesellschaft (2)

Bindung zwischen Hundeführer und Hund

Zu enge Bindung des Hundes an den Führer ist ebenso falsch wie die zu lockere Bindung. Im ersten Falle können Abartigkeiten wie Urinieren des Hundes gegen Kleidung oder Beine des Menschen, Verwehren des Zugangs des Ehepartners zum Schlafzimmer, dominantes Sexualverhalten besonders gegenüber Kindern oder Masturbation an Armen, Beinen oder anderen Körperteilen des Menschen u.v.a. bis hin zur übersteigerten Wehrbereitschaft und Aggression gegenüber jedem, der sich dem "Rudelführer Mensch" auch nur zu nähern, geschweige denn, ihn zu berühren versucht.
Die zu lockere Bindung zum Rudelführer führt zur Verselbständigung des Hundes bis hin zum absoluten Ungehorsam mit allen Konsequenzen für Mensch und Hund.
Was aber ist, wenn der Mensch seine Rolle als Rudelführer gänzlich vernachlässigt? Die Konsequenz ist ebenso einfach wie zwingend: Der Hund übernimmt aufgrund seiner natürlichen Veranlagung die Führung des Rudels. Da er aber in der Beziehung Hund-Mensch absolut überfordert ist, sind weitestgehende Probleme unausweichlich. Auch ohne dies an hiesiger Stelle vertiefen und erläutern zu müssen, sollte selbst dem "dümmsten Hundehalter" klar sein, daß ein Hund nicht in der Lage ist, die Geschicke des Menschen zu lenken. Wenn ihm aber keine andere Wahl bleibt, oder anders ausgedrückt, wenn der Mensch die Rolle des Führers nicht übernimmt, wird das der Hund auf die ihm eigene Art tun, d.h. mit allen Verhaltensmustern, die dem Hund erbmäßig mitgegeben sind; schließlich, nachdem er seinem Besitzer unerträglichgeworden ist, wird er sich verselbständigen, d.h. verwildern.


Probleme mit dem Hund

Viele Hundehalter haben mehr oder weniger große Schwierigkeiten mit ihrem Hund, ohne daß dafür Erkrankungen des Tieres verantwortlich gemacht werden könnten. Die Gründe hierfür können scheinbar sehr vielfältig sein. Trotz scheinbarer Vielfältigkeit lassen sich die Schwierigkeiten zumeist auf zwei Wurzeln zurückführen. Diese liegen, was selten der Fall ist, ursächlich beim Hund, sondern in der Regel beim Hundehalter.
Soweit die Ursachen für Probleme unmittelbar beim Hund zu suchen sind, muß hier festgehalten werden, daß in solchen Fällen der Hundebesitzer von vorneherein eine falsche Entscheidung getroffen hatte, als er sich für eine bestimmte Hunderasse oder für einen bestimmten Hund entschied. Wie ist das zu verstehen? Vorweg folgender Hinweis: Es gibt empfehlenswerte Bücher, in denen brauchbare Ratschläge zur richtigen Wahl eines Hundes gegeben werden. Ebenso gibt es z.T. hervorragende Literatur, in der die einzelnen Hunderassen so beschrieben und abgebildet sind, daß der interessierte Hundeliebhaber schon vor dem Erwerb eines Hundes eine Vorentscheidung treffen kann.
Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß verantwortungsvolle Züchter ihren an Welpen Interessierten wohlgemeinte Ratschläge geben. Sollten solche Züchter überzeugende Gründe nennen, weshalb sie vom Erwerb eines Welpen der von ihnen gezüchteten Hunderasse abraten, ist es im allgemeinen richtig, diesem Rat zu folgen.
Warum ist die richtige Wahl des Hundes so wichtig? Auch hierzu ließe sich vieles sagen, das sich übergeordnet, wie folgt, zusammenfassen läßt:
Wenn die Erwartungen, die der Hundehalter an den Hund stellt, nicht erfüllbar sind, führt das, wie von selbst, zu Problemen.
Umwelteinflüsse und deren Auswirkung auf die Wesensentwicklung des Welpen
Für die Qualität eines Hundes spielt außer seiner Gesundheit und seinen äußeren Merkmalen sein Wesen eine dominierende Rolle. Unter dem Begriff Wesen ist die Gesamtheit aller genetischen und erworbenen Fähigkeiten zu verstehen.
Die Verhaltensbiologie unterscheidet prinzipiell drei Einflußgrößen:
• Das Erbgut (Genom),
• die vorgeburtliche (embryonale) Entwicklung und
• die durch Umweltbedingungen beeinflußte nachgeburtliche Entwicklung bis zum Tode des Individuums.
Mit Hilfe von im frühen Welpenalter durchgeführten Wesenstests, die Gegenstand eines eigenen Abschnitts sind, versucht man, zwischen genetischen und erworbenen Veranlagungen. zu unterscheiden. Dies bleibt aber solange eine Wunschvorstellung, bis durch exakte Genanalyse die tatsächlich genetischen Veranlagungen und deren Auswirkung auf die Wesensbildung festgestellt werden können.
Obwohl über die embryonale Wesensentwicklung wenig bekannt ist, darf man ihr dennoch eine gewichtige Bedeutung beimessen. Dem gegenüber lassen sich Umwelteinflüsse auf die Entwicklung des Welpen nach dessen Geburt mit großer Deutlichkeit nachweisen. Dies gilt von dem Augenblick an, da der Welpe geboren wird. Offenbar ist die Geburt eines jeden Lebewesens ein dramatischer Akt für das Gebärende, besonders aber für das geborene Lebewesen. Mit dem Übergang aus der Geborgenheit des Mutterleibes in diese Welt beginnt für das Neugeborene bereits die Auseinandersetzung um das eigene Dasein. Wenn es dem Neugeborenen Welpen nicht gelingt, rechtzeitig an eine Zitze der Mutter zu gelangen, ist seine eigene Existenz bereits infrage gestellt. Die Muttermilch versorgt den Welpen nicht nur mit Nahrung, sondern auch mit lebenswichtigen Abwehrstoffen, die die Grundlage für die Entwicklung seines Abwehrsystems gegenüber Infektionen darstellen. Der Welpe kann bis zum Beginn seiner 4. Lebenswoche noch nicht sehen; dennoch ist er von Natur aus mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihm helfen, den Weg zur Zitze sicher zu finden. Als Orientierungshilfen dienen ihm sein Geruchssinn, der bereits mit der Geburt stark ausgeprägt ist, das Empfinden von Wärme, seine nervliche Ausstattung und seine motorischen Möglichkeiten. Dies alles sind Fähigkeiten, die ein Mindestmaß an Gehirnfunktion zu Steuerung und Koordination aller Vorgänge voraussetzen.
Wenn, wie üblich, mehrere Welpen in einem Wurf sind, kommt zu den vorgenannten Fähigkeiten eine kämpferische Triebhandlung hinzu, da der einzelne Welpe sich gegenüber seinen Wurfgeschwistern durchsetzen muß. Hat er schließlich eine Zitze erreicht, fließt ihm die Nahrung nicht wie eine sprudelnde Quelle zu; vielmehr muß er durch starke Saugtätigkeit und den sog. Milchtritt der Hündin die Nahrung geradezu abtrotzen, auch wenn diese bereitwillig den optimalen Zugang zu den Zitzen ermöglicht.
Erst, wenn der für den Welpen äußerst mühevolle Weg vom Beginn der Wahrnehmung der Nahrungsquelle, Betätigung der noch schwachen Muskulatur und des wenig gefestigten Skeletts, Durchsetzung gegenüber Geschwistern als Konkurrenten bis hin zur Nahrungsaufnahme erfolgreich war, schläft der Welpe voller Zufriedenheit ein.
Dieser, aus der Sicht des Menschen scheinbar trivial anmutende Ablauf birgt das Geheimnis aller später zu erörternden Triebhandlungen des Hundes und die Grundlage zum Verständnis der artgerechten Erziehung und Ausbildung des Hundes. Deswegen wollen wir den Ablauf des vorgenannten Triebgeschehens der Nahrungsaufnahme einmal aus einem anderen, einem analytischen Blickwinkel aus betrachten. Erst, wenn uns in aller Deutlichkeit klar geworden ist, was sich zur Nahrungsaufnahme alles abgespielt hat, werden wir das nötige Verständnis für den Einfluß von Umweltfaktoren auf die Wesensentwicklung des Welpen aufbringen können.

1. Frage: Warum strebt der Welpe zur Zitze?
Antwort: Weil er Hunger hat.
Wir bezeichnen diese Ausgangssituation des Hungergefühls mit dem Begriff Ausgangsstimmung oder Appetenz. Da die hier gemeinte Appetenz durch das Gefühl des Hungers bestimmt wird, nennen wir sie spezifische Appetenz. Je stärker das Hungergefühl ist, desto größer ist die Appetenz, oder anders ausgedrückt: Mit steigendem Gefühl des Hungers wird das Verlangen, also derTrieb, das Hungergefühl zu stillen, erhöht (Triebsteigerung).

2.Frage: Was wird durch das Hungergefühl bewirkt?
Antwort: Das Gefühl des Hungers löst im Welpen über angeborene Mechanismen Verhaltensweisen aus, deren Ziel es ist, das Hungergefühl zu befriedigen.
Für den hier diskutierten Fall werden die angeborenen Mechanismen
• Riechen (die Zitze der Hündin strömt einen spezifischen Duft aus),
• Wärmefühlung (die Körperwärme der Hündin ist für den Welpen wahrnehmbar und orientierungsfördernd),
• Gehör (die Hündin gibt für den Welpen hörbare Signale von sich),
• Nerven- und Gehirnfunktionen (Hungergefühl, Duftstoffe, Wärmestrahlung, Schallwellen werden über dafür geeignete Nervenzellen wahrgenommen, über Nervenbahnen dem Zentralnervensystem (ZNS) zugeleitet, von diesem aufgenommen, koordiniert, d.h. zusammengefasst und in Form von "Befehlen" weiterverarbeitet).
Dieses Auslösen von bestimmten Verhaltensweisen geschieht über auslösende Reize, sogenannte Schlüsselreize.

3.Frage: Wie reagiert der Welpe auf den Schlüsselreiz?
Antwort: Durch Handlung.
Nach der Koordinierung der Signale: Hunger, Riechen, Hören, Fühlen durch das ZNS löst dieses wiederum über Nervenbahnen bestimmte Körperfunktionen aus: Erhöhung der Sensibilität für Geruch, Gefühl, Gehör bis hin zu Muskelbetätigungen, die letztlich die Fortbewegung des Welpen zur Nahrungsquelle bewirken. Diese Vorgänge bezeichnen wir als Triebhandlung.
Auch die Nahrungsaufnahme selbst, also das Saugen an der Zitze und das Schlucken sind Teile dieser Triebhandlung, da sie letztlich alle der einen Zielsetzung dienen, nämlich, Stillen des Hungegefühls.
Je höher die Appetenz (siehe 1. Frage) und stärker der Reiz (siehe 2. Frage), desto größer ist im Welpen die Spannung, die Motivation, zur Durchführung der Triebhandlung.

4. Frage: Was steht am Ende der Triebhandlung "Nahrungsaufnahme"?
Antwort: Erfüllung des Triebziels, Zufriedenheit, (innere) Ruhe, Entspannung
In dem Maße, wie der Welpe durch Saugen und Schlucken das Hungergefühl abbaut, wird das Triebziel erfüllt. Mit abnehmendem Hungergefühl vermindern sich aber gleichzeitig auch alle anderen, bis dahin aktivierten und in hoher Triebstimmung befindlichen Mechanismen.
Die Befriedigung eines Triebziels nennen wir Endhandlung. Wenn, wie im vorliegenden Falle, die Nahrungsaufnahme zu einer völligen Befriedigung der Triebhandlungen führt, fällt die Anspannung, also die Motivation zur Nahrungsaufnahme völlig ab; der Welpe schläft entspannt ein.


Handlungsketten

Den vier Fragen und Antworten liegt, in Kurzform gesagt, folgende Handlungskette zugrunde:
• spezifische Appetenz oder Ausgangsstimmung; hier: Hungergefühl
• Auslösender (Schlüssel-) Reiz; hier: Zitze
• Triebhandlung; hier: Bewegung zur Zitze, Nahrungsaufnahme
• Triebbefriedigung (Endhandlung); hier: Stillen des Hungergefühls
Stets sind es diese vier grundlegenden Verhaltensweisen, die den Hund in seinem Tun beherrschen. Die Kenntnis über diesen Zusammenhang hilft uns nicht nur, wesentlliche Wege der Hundeausbildung zu verstehen, sondern zu begreifen, wieso beim Ausbleiben der den Verhaltensweisen zugrunde liegenden Mechanismen letztlich Störungen in der günstigen Wesensentwicklung des Welpen auftreten.


Umwelteinflüsse

Wichtigste Zielsetzung unserer Welpenschule ist es, die für die Entwicklung des Hundes günstigsten Bedingungen herauszuarbeiten. Das kann aber nicht mit dem gewünschten Erfolg geschehen, wenn die ungünstigen Bedingungen nicht hinreichend erkannt werden.
In dem Maße, wie uns die negativen Auswirkungen von ungünstigen Umweltbedingungen bewußt werden, sind wir in der Lage, die günstigen Bedingungen zu erfinden, oder, im einfachsten Fall durch Umkehrung der schlechten, die günstigen Bedingungen zu schaffen.


Ungünstige Umwelteinflüsse

-Nahrungs- und Pflegeentzug durch die Mutterhündin
Die Hündin lehnt gelegentlich aus uns meist unbekannten Gründen die Pflege bestimmter Welpen ab. Dies ist ein sicheres Zeichen für eine irgendwie geartete krankhafte Veranlagung des betreffenden Welpen. Dennoch gibt es Züchter, die erfolgreich versuchen, solche Welpen entgegen dem Instinkt der Mutterhündin durch künstliche Nahrungszufuhr am Leben zu erhalten. Es kann sogar gelingen, durch wiederholtes Anlegen des Welpen an die Zitze der Hündin, diese zu veranlassen, den vorher von ihr abgelehnten Welpen schließlich zu akzeptieren. Die Erfahrungen zeigen, daß solche Hunde zeitlebens geschädigt sind: Häufige Krankheiten, Freßunlust, fehlende Bewegungs- und Spielfreude, Kontaktarmut, Arbeitsunlust u.a.m. sind die auffälligen Syndrome. Entzugserscheinungen (Deprivationssyndrome) ist der Sammelbegriff für derartige Fehlentwicklungen.

-Künstliche Wärme
Gelegentlich wird bei unbefriedigender und unsachgemäßer Unterbringung des Wurfes die fehlende Nestwärme durch künstliche Wärme, wie z.B. Rotlicht, Heizkissen, Heizdecke oder dergleichen ersetzt.
Fehlende Nestwärme wird häufig auch dort beobachtet, wo die Hündin mit ihrem Wurf aus ihrem normalen Lebens- und Aufenthaltsbereich ausgesperrt wird und sich daher nur kurz bei ihrem Wurf aufhält. Dies gilt sowohl für die Aufzucht, wo der Züchter sich z.B. durch den Wurf und die damit verbundenen Umstände in seinem eigenen Lebensablauf und Lebensraum gestört sieht, als auch für diejenigen Züchter, die aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf die Welpen diese vor der täglichen Unruhe, z.B des familiären Geschehens (Telefon, Aus- und Eingehen, Musik, Küchengeräusche, Stimmen usw.) dadurch bewahren wollen, daß sie den Wurf an einem ruhigen, der Hündin aber ansonsten absolut ungewohnten Ort unterbringen.
Außer dem bereits genannten und auf häufige Abwesenheit der Hündin zurückzuführenden Deprivationssyndrom ist eine allgemeine Verweichlichung der Welpen die unausweichliche Folge: Durch ständige künstliche Wäremezufuhr verkümmern die natürlichen Selbstregelungsmechanismen für die Körpertemperatur, also die Blutzirkulation, die Stoffwechselmechanismen, die Entwicklung des Haarkleides, die Sensibilisierung des Nervensystems u.a.m.
In den ersten Lebenswochen suchen Welpen die Nähe der Mutter bzw. der Geschwister. Häufig liegen sie wie ein Knäuel übereinander: Dieses als Kontaktliegen bezeichnete Verhalten mag primär der Erhaltung einer angenehmen Körpertemperatur dienen, fördert aber zugleich auch das innerartliche Sozialverhalten als Rudelverband. Ein ausgeprägtes und gesundes Sozialverhalten ist aber eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund. Verlust an Wach- und Schutztrieb des erwachsenen Hundes haben ihre Ursache letztlich im gestörten Sozialverhalten.

Die Suche nach Nähe und Kontakt fördert zugleich
• die Riechfähigkeit (olfaktorische Triebhandlungen),
• die Sensibilität für Wärme (thermophile Triebhandlungen) und
• das Gefühl für Berührung ( taktile Triebhandlungen).
Fehlt die Appetenz für olfaktorische, thermophile und taktile Triebhandlungen, können diese sich weder entwickeln noch entfalten noch für spätere Erziehungs- und Ausbildungsziele im Sinne einer Triebförderung optimal angesprochen werden.
Künstliche Wärme enthebt aber den Welpen der Notwendigkeit zur Entwicklung der vorgenannten Veranlagungen.

- künstliche Ernährung
Künstliche, industriell hergestellte Welpenmilch hilft Probleme zu überbrücken, bei denen die Welpen keine oder nicht genügend Muttermilch erhalten können, sei dies, weil der Wurf zu groß ist, oder die Hündin zu wenig eigene Milch produziert, oder weil sie erkrankt ist oder gar beim Gebähren eingegangen ist, oder sei es, daß Welpen nur eine geringe Lust zur Nahrungssuche aufweisen, also eine mangelnde Vitalität aufweisen.
Fehlt zudem die Betreuung der Welpen durch eine Amme, bleibt nur künstliche Ernährung der Welpen übrig. Dies geschieht durch Flaschennahrung mittels Saugschnuller oder durch eine Magensonde, bis zum Zeitpunkt der Zufütterung durch andersartige Nahrung.
So bitter derartige Vorkommnisse an sich bereits für den Züchter sein mögen, sollte dieser sich nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß ausschließliche oder überwiegende künstliche Ernährung eine Reihe ungünstiger Spätfolgen für die betroffenen Welpen nach sich ziehen kann, auch wenn diese Phase im allgemeinen nur etwa drei Wochen dauert, weil danach ohnehin die Zufütterung mit andersartiger Nahrung beginnt.
Der vorher geschilderte Ablauf zur Nahrungssuche und Nahrungsaufnahme beansprucht die volle Vitalität des Welpen. Wird der Ablauf der Triebhandlungen unterbrochen oder verkürzt, indem z.B. dem Welpen ohne den „Kampf um die Zitze" und ohne anstrengenden Milchtritt und ermüdende, dabei aber auch triebbefriedigende Saug- und Schluckanstrengungen die Nahrung verabreicht wird, kann keine abgeschlossene Triebhandlung zustande kommen.
Nahrungssuche und Nahrungsaufnahme bedeuten für den Welpen die Überwindung von Streßsituationen. Bleibt dieser Kampf aus, führt das zur Verweichlichung. Übergewichtigkeit, Bewegungsmangel, Ausbildung von Skelettschäden wegen fehlender Betätigung, Anfälligkeit gegenüber Krankheiten und die damit einhergehenden Spätschäden, wie mangelhafte Arbeitsfreude, Überempfindlichkeit bei allen Streßsituationen, schlechte Motivierbarkeit, Handlungs- und Bewegungsunlust u.a.m. finden ihre Ursache häufig in künstlicher Ernährung.
Sichtbares Fehlverhalten solcher Welpen besteht darin, daß sie Ersatzhandlungen suchen. Solche, in der Verhaltensforschung als Leerlaufhandlungen bezeichneten Verhaltensweisen äußern sich z.B. darin, daß die Welpen den unbefriedigten Saugreflex dadurch abreagieren, daß sie an allem, das ihnen als Ersatzobjekt dienen kann, herumsaugen, besonders an ihren Wurfgeschwistern.

-Fehlende menschliche Zuwendung
Wenn dem Welpen nicht frühzeitig menschlicher Kontakt ermöglicht wird, führt das unweigerlich zu einem späteren gestörten Verhältnis vom Hund zum Menschen. Gute Züchter pflegen den Kontakt bereits von der Geburt des Welpen an, indem sie ihn bewußt auf den Arm nehmen, ihn zur Kontrolle der Gewichtszunahme wiegen und sich selbst von dem Welpen beschnuppern lassen. Später kommt weitere Pflege hinzu, wie z.B. Zurückschneiden der Krallen, Ohren- und Fellpflege.
Im Zusammenhang mit den Ausführungen über die Prägungsphase wurde betont, daß besonders von der 4. bis zur 8. Lebenswoche des Welpen intensiver Kontakt zum Menschen herbeigeführt werden muß. Dazu genügen die vorher angegebenen, wenn auch für die Sozialisierung wichtigen Handlungen, allein nicht. Sozialisierung bedeutet, längeres Verweilen des Züchters, seiner Familienangehörigen und von dazu angeleiteten Fremdpersonen einschließlich von Kindern bei den Welpen; Sozialisierung heißt, Körperkontakt von Mensch zu Welpen, heißt, mit den Welpen sprechen und mit ihnen kleine Spiele machen.
Fehlt diese menschliche Zuwendung, dann sind die weiter oben bereits beschriebenen Deprivationssyndrome mit all ihren Folgen unvermeidlich: Ängstliches, übersensibles, unmotiviert aggressives Verhalten, (Angst-) Beißen, Meiden von Kindern, mangelhafte Bereitschaft zum Spielen mit Menschen usw. haben erfahrungsgemäß ihre Wurzeln in der verpaßten Sozialisierungphase, also der Zeit von der 4. bis zur 8. Lebenswoche des Welpen.
Es kann an dieser Stelle nicht nachdrücklich genug darauf hingewiesen werden, daß vom Menschen vernachlässigte Welpen für jede Art späterer Ausbildung äußerst benachteiligt sind. Es wird Gegenstand einer späteren Erörterung sein, die Bedeutung der Sozialisierung zwischen Mensch und Hund weiter zu vertiefen.

-Fehlende Entfaltungsmöglichkeit, Reizarme Umgebung
Ab der 4. Lebenswoche beginnt der Welpe, sein Lager auf kurze Entfernung zu verlassen. Von diesem Zeitpunkt an dehnt er seinen Aktionsbereich mehr und mehr aus. Sein Interesse an seiner Umwelt, seine Neugierde, seine Lernfähigkeit und Lernbereitschaft nehmen rapide zu. Es hat diejenige Entwicklungsphase begonnen, in welcher der Welpe seine gesamte Vitalität entfaltet. Alle Sinne werden in höchstem Maße angesprochen. Alles, was er unbefangen in den Fang nimmt oder davonschleppt, bereitet ihm keine psychischen Probleme. Auf diesen, dür die Förderung der Selbsicherheit und das Selbstbewußtsein des Welpen äußerst wichtigen Aspekt kommen wir in späterem Zusammenhang zurück, wenn praktische Übungen zur Wesensförderung des Welpen beschrieben werden.
Da der Welpe in der Regel nach der 8. Lebenswoche den Besitzer wechselt, liegt es in der Hand des Züchters, ob der Welpe sich bis dahin hat entfalten können. Zu den wichtigsten Entfaltungsmöglichkeiten gehört die gezielte Förderung des Sozialverhaltens mit den Wurfgeschwistern (innerartliches Sozialverhalten), mit Menschen (außerartliches Sozialverhalten), intensive Spiele und, nicht zuletzt, die Möglichkeit, den eigenen Lebensraum systematisch erweitern und erkunden zu können.
Die Fähigkeit, im späteren Leben Probleme, sprich Streßsituationen, ungewöhnliche optische, akustische, taktile, psychische Einwirkungen usw. zu bewältigen, wird in dieser wichtigen Entwicklungsphase trainiert. Daher muß dem Welpen die Gelegenheit zur selbständigen Erkundung seiner Umgebung geboten werden.
Kellerhaltung des Wurfes oder damit vergleichbare Aufzuchtbedingungen führen zur Unterentwicklung der Vitalität.
Frustrationserscheinungen als Folge nicht erfüllter Triebhandlungen sind dann unausbleiblich. Enttäuschungen und Negativerlebnisse durch unerfüllte Triebhandlungen sind die häufigsten Ursachen für spätere unerwünschte Ersatzhandlungen.

-Reizarme Umgebung
Wenn den Welpen nicht genügend Lebensraum und Beschäftigungsmöglichkeiten geboten werden, beginnen sie, sich mit
Förderung des Sozialverhaltens über den Funktionskreis Nahrungsaufnahme
Nahrung und Nahrungsaufnahme, Ruhen und Spielen und Befriedigung der natürlichen Neugierde sind die wichtigsten Lebensinhalte des Welpen. Alle genannten Bereiche können sehr wohl zur Förderung des Sozialverhaltens herangezogen werden. Dies sei beispielhaft beschrieben.
Futter und Füttern
Futter und Fütterung sichern die Existenz des Welpen. Daher verbindet sich mit der Nahrungsaufnahme eine starke Triebveranlagung.
Der Trieb, also das Verlangen nach Nahrung, wächst mit zunehmendem Hungergefühl. Ist der Hunger gestillt, dann ist das Triebziel erreicht, und der Trieb zur Nahrungsaufnahme ermüdet.
Dies ist eine sehr wichtige Feststellung. Sie zeigt, daß der Welpe über den Trieb zur Nahrungsaufnahme nur so lange zu bestimmten Handlungen motiviert werden kann, als das Triebziel noch nicht erreicht ist.
Diese Phasen der Motivierbarkeit nutzen wir in gezielter Weise, um den Welpen bereits an feste Rituale zu gewöhnen. Jeder Welpenbesitzer mag dabei seine eigenen Schwerpunkte setzten. Deshalb wollen wir uns an dieser Stelle nur auf einige Beispiele beschränken, die letztlich nur als Anregung zu eigenen Ideen dienen sollen.


Zubereitung der Nahrung
Der Welpe wird bewußt hinzugezogen, wenn sein Futter zubereitet wird. Seine Abhängigkeit vom Rudelführer hinsichtlich der Nahrungssicherung wird ihm sehr schnell deutlich. Bereits hierbei lernt der Welpe, daß er sein Futter nicht nur zu bestimmten Zeiten, sondern auch unter gleichbleibenden Situationen (Ritualen) bekommt. Er lernt, daß er außerhalb dieser Umstände kein Futter erhält. Jegliches Betteln wird notfalls streng untersagt und wird damit für den Welpen zwecklos.

Futterplatz
Er erhält sein Futter immer an ein und dem gleichen Ort.
Die Fütterung erfolgt nur aus seinem Futternapf.
Anmerkung:
Es ist für das harmonische Wachstum des Welpen günstig, den Futternapf so weit erhöht vom Boden aufzustellen, daß alle Läufe des Hundes während des Fressens gestreckt sind.
Gelegentlich hält der Rudelführer oder eines der übrigen Familienmitglieder dem Welpen für eine komplette Fütterung die Futterschüssel hin. Dabei lernt der Welpe, daß er in der Familie unterstes Glied des "Rudels Mensch/Hund" ist.
Während des Fütterns tauchen gelegentlich Finger des Fütternden in die Schüssel mit dem Futter ein. Der Welpe lernt, daß die Hand des Ranghöheren ihm seine Nahrung nicht streitig macht.
Gelegentliches gutes Zureden während des Fütterns fördert beim Welpen das Gefühl des Wohlbefindens, der Geborgenheit, der Sicherheit (Nestwärme, Rudelgefühl).
Gelegentliche besondere Leckerbissen, wie z.B. Knochen, Pansen oder Käsestücke erhält der Welpe unmittelbar aus der Hand seines Führers; dieser hält das Futter für eine Weile fest, während der Hund daran knabbert. Gutes Zureden, wie z.B.: „Da hast du aber etwas Feines“ verdeutlicht dem Welpen, daß sein Rudelführer ihm das Futter nicht streitig macht. Dem gleichen Zweck dient auch das kurzzeitige Wegnehmendes z.B. des Knochens. Darunter ist zu verstehen, daß der Knochen nicht beiseite gelegt, sondern nur kurz mit der Hand festgehalten und dem Welpen sofort wieder angeboten wird.

Entleeren
Nach der Fütterung wird der Welpe sofort auf seinen Kotplatz gebracht. Sofern er nicht schon vom Züchter an eine bestimmte Verhaltensweise gewöhnt worden ist, besteht jetzt die Möglichkeit, ihm für das Absetzen von Kot erwünschte Manieren beizubringen.
So können wir in dieser Phase nachhaltigen Einfluß darauf nehmen, wo der Welpe seinen Kot absetzt.
Wenn der Hund seinen Kot auf Straßen und Wegen absetzt, wie das vor allem bei Hunden, die in der Stadt aufwachsen, immer wieder geschieht, liegt dem meist ein Erziehungsfehler zugrunde. Es ist nicht schwierig, den Hund, noch bevor er sein „Geschäft“ verrichtet, z.B. an den Straßenrand oder neben den Fußweg zu führen. Beginnt dann der Vorgang des Kotens, wird dies durch zustimmende und lobende Worte unterstützt, wie z.B. mach-wurst und so ist-brav. Vergleichbares gilt für das Wasserlassen: Z.B. mach-pipi, so-ist-brav.
Ergebnis:
Schon bald lernt der Welpe, daß Kotabsetzen und Wasserlassen mit Lob bedacht werden. Er wird sich im Verlauf seiner weiteren Entwicklung daran gewöhnen, daß mach-wurst bzw. mach-pipi an einer bestimmten Stelle die Zustimmung oder Ablehnung seines Führers findet.
Der erwachsene Hund muß nicht beliebig irgendwo sein Geschäft machen!

Ruhephase - Ruheplatz
Nach dem Auslauf braucht der Welpe Ruhe. Hierfür steht ihm ein geeigneter Schlafplatz zur Verfügung. Dies ist sein Platz, den ihm niemand streitig macht. Daher ist die Wahl des Platzes wichtig. Nach Möglichkeit sollte der Welpe selbst seinen Platz aussuchen dürfen.
Ein etwas erhöhter Platz (kein Sessel oder Sofa) von wo aus der Hund eine möglichst gute Übersicht hat und der in der Nähe des Rudels (Familie) liegt, ist ideal. Auf dem Ruheplatz liegt eine eigens und nur für den Welpen beschaffte geeignete Unterlage, deren Beschaffenheit dem Welpen angenehm ist. Er verbindet mit dieser Unterlage sein Zuhause.
Die baldige Gewöhnung an "sein Zuhause" wirkt sich dann vorteilhaft aus, wenn der Hund mit auf Reisen genommen werden soll: „Sein Zuhause“ ist dann das Erste, das ihm z.B. in der Ferienwohnung oder im Hotelzimmer eingerichtet wird, noch bevor Gepäck entladen wird.
Während der Welpe sich auf seinen Ruheplatz legt, unterstützen wir sein Tun z.B. mit den Worten leg-dich-hin und so-ist-brav. Zur Kontaktpflege ist ein kurzes, ruhiges und sanftes Streicheln sehr förderlich; das ist Teil des Kontaktliegens, das der Welpe noch aus der Wurfkiste kennt.
Während der Ruhepause soll der Welpe nicht gestört werden; er meldet sich von selber wieder.

Erneutes Entleeren
Nach dem Erwachen wird der Welpe sofort wieder zum Entleeren auf den dafür vorgesehenen Platz gebracht. Durch konsequentes Einhalten der Entleerungsphasen wird der Welpe sehr schnell stubenrein.

Autor: Prof. Dr. Alfons Saus
 

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