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Das Tabu (Teil 1)

Das Tabu – unentbehrlich für die Erziehung und Ausbildung des Hundes
A. Saus

Tabus sind dem Hund erbbiologisch aus dem wölfischen Verhalten her bekannt. Die strikte Einhaltung von Tabus gehört zu seinen grundlegenden Veranlagungen. Nur derjenige Hund ist sozialverträglich, der gelernt hat, Tabus zu befolgen. Daher ist es wichtiger Teil der Wesensförderung des Hundes, ihm bestimmte Tabus zu setzen und diese kompromisslos von ihm abzufordern.
Im Zuge seiner hündischen Wesensentwicklung und Persönlichkeitsentfaltung ist es notwendig, dass der Hund in der Zeit von der 12. bis zur 16. Lebenswoche gelernt hat, die von seinem Herrn gesetzten Tabus zu befolgen.
Diese äußerst wichtige Erziehungsmaßnahme wird in dem Maße schwieriger, wie der Hund älter und somit körperlich und psychisch stabiler und von seinem Gewicht her schwerer wird, weil der Hundeführer zur Durchsetzung von Tabus dann immer mehr Autorität und Kraft aufwenden muss.
Wenn ein Hundeführer zu einem späteren Lebensabschnitt des Hundes plötzlich in Schwierigkeiten mit seinem Hund gerät, ist dies erfahrungsgemäß sehr häufig darauf zurückzuführen, dass er es versäumt hat, seinem Hund rechtzeitig Tabus zu setzen. Dies gilt insbesondere für wesensstarke großwüchsige Hunde.

Ein Tabu - was ist das?
Das Wort Tabu stammt aus dem polynesischen Sprachbereich und bedeutet absolutes Verbot, z.B. das
• Verbot, etwas anzutasten
• Verbot, etwas zu betreten
• Verbot, etwas zu nehmen
• Verbot, etwas Bestimmtes zu essen
• Verbot, etwas Bestimmtes (an-) zusehen
und dgl. mehr.
Zweifellos bezogen sich diese Verbote ursprünglich auf kultische Handlungen und religiöse Bereiche, auf bestimmte Gegenstände, möglicherweise sogar auf bestimmte Personen. Der Apfel im Paradies ist als typisches Symbol eines Tabus zu bezeichnen.
• Mit dem Tabu setzte der Ein-Geweihte, das ist der Höhergestellte, dem nicht Geweihten (dem Untergebenen, dem Abhängigen) Grenzen seiner Kompetenz; gleichzeitig sicherte er seine Macht und Überlegenheit gegenüber dem nicht Geweihten.
Die Verletzung eines Tabus wurde dementsprechend mit der höchsten Strafe, in der Regel also dem Ausschluss aus der Gemeinschaft oder gar mit dem Tode bestraft. Tabuisierte Bereiche und Gegenstände erhielten damit magische Bedeutung und wurden zu Instrumenten praktisch uneingeschränkter Macht der Geweihten.
Auch nach unserem heutigen Sprachgebrauch ist die Tiefe der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Tabu geblieben. So sprechen wir von Tabus, wenn z.B. bestimmte Themen nicht angesprochen oder Privilegien nicht angetastet oder Verhaltensweisen nicht diskutiert werden sollen.
Die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, so wie sie die Grundgesetze abendländischer Kulturen vorschreiben, ist letztlich Ausdruck eines Tabus.

Das Tabu im Rudel von Caniden
Im Rudelverhalten von Caniden (Hundeartigen) lassen sich zahlreiche tabuierte Elemente aufzeigen:
• So nimmt das Leittier stets den am höchsten gelegenen Ruheplatz ein.
• Ihm ist es als dem Ranghöchsten vorbehalten, als Erster eine Beute aufzureißen.
• Ihm stehen die besten Beuteteile zu,
um nur einige Beispiele zu nennen. Jeder Versuch eines Rudelmitglieds, dem Ranghöchsten seine Vorrechte streitig zu machen, wird von diesem unverzüglich abgewehrt.

Welpenschutz – Was heißt das?
Dem gegenüber genießen Welpen bis zu ihrem Alter von etwa 10 Wochen selbst gegenüber dem Leithund nahezu uneingeschränkte Freiheit; sie dürfen ihm „ungestraft“ Futterbrocken wegnehmen. Dieses duldsame Verhalten erwachsener Hunde, insbesondere von Rüden gegenüber Welpen, nennt man Welpenschutz.

Absoluter Gehorsam
Wenn bei frei lebenden Caniden die Mutterhündin sich nach Ablauf der achten Lebenswoche der Welpen von diesen zurückzieht, übernimmt ein Erzieherhund die weiteren Aufgaben der Sozialisierung der Welpen.
Wichtigstes Ziel dieser meist von einem Rüden übernommenen Erziehung ist es, die Welpen den absoluten Gehorsam zu lehren.
Diese Erziehungsmaßnahme hat zweifellos große Bedeutung für das gesamte Rudel; erst dadurch, dass jedes Rudelmitglied seine Aufgabe im Rudel zuverlässig wahrnimmt, wird die Existenz des gesamten Rudels gesichert. Dies gilt für die Nahrungsbeschaffung ebenso, wie für den Schutz der Jungtiere, für das Zusammenleben der Sippe und für die Fortpflanzung. Zuverlässiges Rudelverhalten setzt den Gehorsam aller Rudelmitglieder gegenüber dem Leittier voraus.

„Rüdenhafte Erziehung“
Die Art und Weise, wie der Erzieherhund seinen Zöglingen den Gehorsam beibringt, kann jeder beobachten, der Rüden und Welpen im Spiel miteinander erlebt. Nicht nur, dass der (Erzieher-)Rüde den heranwachsenden Welpen kämpferische Verhaltensweisen beibringt, indem er sie zum Spiel auffordert oder sich selbst, - scheinbar als Verlierer, - auf den Rücken wirft und die Jungen überall an sich herum zerren lässt, lehrt er sie auch den absoluten Gehorsam, indem er quasi Tabus setzt. Das geschieht auf sehr einfache aber wirksame Art.

Der Erzieherhund setzt Tabus
Der Erzieherhund täuscht gegenüber dem Welpen ein Interesse an einem Gegenstand (sprich: Köder) vor. Dies könnte ein Knochen oder aber auch nur ein Lappen, ein Stück Holz, ein Spielzeug oder einfach ein Blatt von einem Baum sein. Durch das Verhalten des erwachsenen Hundes angelockt, versucht der Welpe, sich dem betreffenden Gegenstand zu nähern und ihn zu ergreifen. Der Erzieher verhält sich scheinbar desinteressiert. Aber in dem Augenblick, da der Welpe den Gegenstand berühren oder gar mit seinem Fang greifen will, macht der Erzieher eine unmissverständliche Gebärde gegenüber dem Welpen: Er knurrt als Zeichen seines Missfallens den Welpen an.
Je kecker der Welpe ist, umso nachhaltiger wird er versuchen, dennoch den Gegenstand in seinen Besitz zu bekommen. Die Antwort des Erziehers ist eine deutliche Drohung.
Lässt der Welpe trotzdem nicht von seinem Vorhaben ab, erhält er von seinem Erzieher plötzlich und unvermittelt einen Schubs mit dessen Fang, der den Welpen gelegentlich sogar einige Meter weit wegschleudert.
Vergleichsweise dazu könnte der Erzieherhund ihn auch kurz aber derb mit seinen Zähnen packen, so dass der Welpe aufschreit.
In jedem Falle ist die Lektion so drastisch, dass es für den Welpen keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Absicht seines Erziehers gibt.
Huldigung des Welpen: „Ich habe verstanden“
Unverzüglich danach zeigt der Welpe, dass er die Lektion verstanden hat: Er macht eine eindeutige Gestik der Unterwürfigkeit als Zeichen des absoluten Gehorsams.

Aktive Unterwerfung
Es mag sein, dass er dabei seine Unterwürfigkeit wirkungsvoll unterstützt, indem er Leckbewegungen zum Fang oder zu den Lefzen des Erziehers macht, so, wie er früher mit gleicher Gestik die Mutter zum Erbrechen von Nahrung veranlasste (Bettelgestik). „Ich habe verstanden“, möchte man der Gestik des Welpen ablesen.
Dieses Verhalten bezeichnen wir als aktive Unterwerfung.
Von einem Menschen würde man vergleichsweise sagen, er huldigt seinem Souverän, seinem Herrscher und küsst ihm unterwürfig die Füße in der Hoffnung, so von weiterer Bestrafung freizubleiben.

Passive Unterwerfung
Im Gegensatz dazu mag ein anderer Welpe sich nach der Maßregelung durch den Erzieher auf den Rücken legen, die Rute einklemmen, das (Lorenz’sche) Kindchenschema zeigen und dabei sein Gesicht von dem Erzieher abwenden.
Dieses, als passive Unterwerfung zu bezeichnende Verhalten ist ebenfalls ein Zeichen des absoluten Gehorsams.

Der Herrscher nimmt die Huldigung an
Der Gehorsam des Welpen wird vom Erzieher unverzüglich angenommen. Hoch erhobenen Kopfes steht er da und duldet die Huldigung des Zöglings. Er zeigt nicht die geringste Spur von Groll, Ärger oder Nachtragen. Seine Lektion war für den Welpen eindeutig, klar und nachhaltig; man möchte sagen, dass er, der Erzieher, es nicht nötig hat, „noch weitere Erklärungen“ abzugeben.
So, als sei nichts geschehen, überlässt er den Kleinen sich selbst oder spielt völlig unbekümmert mit ihm.
Er weiß, dass der Welpe die Lektion verstanden hat; dieses Tabu wird der Welpe nicht mehr brechen, ohne Ärgeres befürchten zu müssen.

Warum muss man dem Hund Tabus setzen?
Absoluter Gehorsam der Untergebenen ist Teil der Sozialstruktur jeder hierarchisch lebenden Gruppe, hier also der Caniden.
Kommt der Hund in die menschliche Familie, dann ist diese Familie sein Rudel. In dieses Rudel hat er sich so einzufügen, wie es seiner hündischen Art entspricht, also nach dem Vorbild einer Hierarchie, einer Rangordnung.
Seine Stellung im Rudel Familie muss ihm aber vermittelt werden. Dies geschieht am wirkungsvollsten durch das Einüben von Tabus.

Bedeutung des Tabus für den Hund und seinen Führer
Die große Bedeutung des Tabus besteht darin, dass dem Hund auf die ihm eigene Art vermittelt wird, wer sein Führer ist.
Richtig verstanden, brauchen wir den Hund also nur an Hand eines einzigen Beispiels das Tabu zu lehren. Wenn er diese Lektion verstanden hat, überträgt er die dabei gewonnenen Erfahrungen auf sein gesamtes Verhalten gegenüber seinem Führer.
Wenn in unseren Ausführungen (siehe: Wir setzen ein Tabu) dennoch eine Abfolge von Übungen beschrieben ist, dann geschieht das in erster Linie deswegen, weil uns die Handlungsweisen des Hundes aus der Tiefe seiner eigenen Seele zu wenig vertraut sind und wir deswegen „Rezepte“ brauchen, um unsere Erziehungsziele zu erreichen.
Aber in dem Maße, wie es uns gelingt, den Hund aus seinen eigenen natürlichen Veranlagungen heraus zu verstehen, können wir darauf verzichten, ihm unsere eigenen Vorstellungen überzustülpen.
Dann werden uns die von sog. Experten gegebenen Ratschläge, nämlich unsere eigene Kompetenz gegenüber dem Hund dadurch zu unterstreichen, dass er stets hinter uns zu laufen hat, oder ihn anzubinden und zu ignorieren, wenn er ein Fehlverhalten gezeigt hat, - um nur einige der zahlreichen unsinnigen „Erziehungsmaßnahmen“ zu nennen, - geradezu lächerlich vorkommen. Solche Maßnahmen sind allenfalls geeignet, das Vertrauen des Hundes zu seinem Führer auf immer zu zerstören.
 

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